Eine Intervention im MUSEUM SCHLOSS FÜRSTENBERG

KERAMIKS von Petra Weifenbach:

Ein neu gestaltetes Museum braucht ein neues Profil. Nach dieser Maßgabe wählen wir das Programm aus Sonderausstellungen und Events aus, das über das Jahr verteilt immer wieder die Neugier auf das MUSEUM SCHLOSS FÜRSTENBERG anfacht. Begonnen hatten wir in diesem Jahr mit der Ausrichtung und Präsentation des Richard-Bampi-Preises und holten auf diese Weise die junge Avantgarde der Keramikkunst an die Weser. Nun folgte mit der Eröffnung von KERAMIKS am 18. Mai die nächste, höchst charmante und faszinierende Position. Doch der Reihe nach.

Petra Weifenbachs Arbeiten waren mir durch Fachmedien und das Internet bereits bekannt, als ich von ihr im Vorfeld der Wiedereröffnung des Museums Post bekam. Sie schickte mir einen Katalog verbunden mit der Anregung, ob ich nicht Lust hätte, die KERAMIKS in FÜRSTENBERG zu zeigen. Ich war sofort begeistert von der Idee und konnte nur antworten, dass ihre Anfrage einer Initiative von mir zuvorkam. So waren wir uns schnell einig und nachdem der geregelte Museumsbetrieb im vergangenen Jahr angelaufen war, folgte ein erster Besuch, um zu einer konkreten Planung zu gelangen.

Denn mir war klar, dass die KERAMIKS in FÜRSTENBERG nach einer besonderen Note verlangten: Was lag da näher, als Scherben aus der Produktion für neue Werke zu verwenden? Die Künstlerin war sofort begeistert und so verbrachten wir den halben Tag damit, in den Scherbenkisten zu wühlen. Neben der Kreation neuer KERAMIKS mit FÜRSTENBERG Porzellan war es mir aber auch wichtig, dass die Ausstellung als solche nicht gewöhnlich sein durfte. Man kennt das ja: Sonderausstellungen werden in der Regel in separaten Räumen eingerichtet, die klar von der Dauerausstellung getrennt sind. Und was ist die Folge? Besucher*innen schauen sich nur die Sonderschau an und setzen kaum einen Fuß in die Dauerpräsentation, die eigentlich das Wesen eines Museums ausmacht. Dieses Muster wollte ich durchbrechen und schlug Petra Weifenbach vor, die KERAMIKS als eine Intervention zu inszenieren, was sie mit Vergnügen aufnahm.

Herausgekommen ist nun eine außergewöhnliche Ausstellung: Im Desoches-Saal nehmen die KERAMIKS im Bereich unserer kleinen Bühne ihren Anfang. Dort sind in zwei Reihen zahlreiche Arbeiten aus der gesamten Entstehungszeit installiert.

Ausstellung Petra Weifenbach

Petra Weifenbach beschäftigt sich seit 2012 mit dieser stetig weiterwachsenden Serie, nachdem sie am Strand eine Keramikscherbe gefunden hatte, die ihre Phantasie anregte. Weitere Werke finden sich im selben und den beiden angrenzenden Räumen. Dort hängen sie scheinbar unvermittelt an den Wänden, sind eingestreut in das Narrativ unserer Dauerausstellung.

Keramiks Sonderausstellung Petra Weifenbach

Auf diese Weise entstehen äußerst reizvolle Wechselwirkungen mit den Museumsexponaten in den Vitrinen, irritieren auf wohltuende und oft humorvolle Weise – und erinnern stets an die Wesensfrage: Ist die Endlichkeit des Ganzseins nicht zugleich der Beginn von etwas Neuem?

Ausstellung Weifenbach

Diesem Aspekt, der den KERAMIKS bei allem Witz und aller Heiterkeit innewohnt, spürte am Abend der Vernissage der Schauspieler Axel Siefer in der Rezitation eines von ihm verfassten Textes nach:

Das Zerstörte, das Kaputtgegangene, das in Stücke Geschlagene ist für immer verloren. Das Ganze existiert nicht mehr, es muss aufgegeben, muss losgelassen, es muss dem Orkus des Ewigen und Dunklen überlassen werden.

Die Scherbe repräsentiert die Vergänglichkeit.

Alles Gewohnte, alles Schöne und Liebgewonnene wird ungern hergegeben, wird nur widerwillig der Welt des Unbekannten, der Erde, der Müllhalde, dem Hochofen überlassen. Der Verlust verursacht Schmerzen, denen wir nicht entgehen können, weil mit dem Zerstörten ein Teil von uns selbst verloren geht. Erleichterung spendet da nur Verdrängung. Sich mit dem endgültig Verlorenen nie mehr konfrontieren! Müll zu Müll. Aber funktioniert es, das Zerstörte aus den Gedanken zu streichen, aus der Erinnerung zu tilgen? Funktioniert es, wenn das Zerstörte unsere Seele anfasst, weil es auf sonderbare Weise zur eigenen Sicherheit und Wärme gehört hat?

Wir grämen uns umso mehr, je stärker wir einen Gegenstand mit unserem Leben verbunden haben. Die Mokkatasse, der Weihnachtsteller. Da ist ein Moment des Zweifels, Unwillen macht sich breit, das Zerbrochene wirklich hergeben zu müssen. Es will im ersten Augenblick nach der Zerstörung nicht eingesehen werden. Manchmal heben wir die Scherben auf, in einer Schachtel, wie in einem kleinen Sarg und hoffen auf Erlösung. Gibt es einen Kleber? Gibt es einen Spezialisten, der uns das Zerstörte wieder heil und lebendig machen kann? So bliebe das Geliebte doch bei uns, irgendwie.

Nein, es gibt keine Rettung.

Es entsteht ein Gefühl der Beklommenheit beim Anblick einer Scherbe. Schlagartig werden so viele Fragen aufgeworfen. Wir müssen den unversehrten Gegenstand dafür nicht einmal gekannt haben. Wir fühlen uns bei jeder Scherbe von der Sehnsucht nach dem Heilen gepackt, von der Frage bedrängt „Was war das wohl?“. Gleichzeitig werden wir mit einer Tatsache konfrontiert, vor der wir eine große Ehrfurcht haben. Es ist die Tatsache, dass wir selbst eines Tages aus der Form geraten und aufgelöst sein werden. Wir werden daran erinnert, dass auch wir der Vergänglichkeit ausgesetzt sind und leiden an der Zerstörung.

Aber spiegelt diese Scherbe nicht immer noch das Ganze wider, oder mehr noch, stellt nicht alles, was zerstört ist, den Übergang zu etwas Neuem dar? Oder besser, wäre es nicht schön, wenn es eine Metamorphose gäbe, die nach der Zerstörung ein neues Leben, einen neuen Wert, einen neuen Sinn gebäre? Gäbe es da nicht einen Weg? Einen Weg, den wir auch für uns selber erhoffen, wenn wir einst unsere Form, unsere Haltbarkeit verloren haben werden?

Natürlich! Es gibt da doch viele Ideen von Rettung, von einem anderen Leben. Sollte es nicht jenseits der Zerstörung einen neuen Weg, einen neuen Sinn, eine neue Gestalt geben? Kann man diese Hoffnung nicht vorerst sozusagen stellvertretend in dem zerstörten Ding, in der Scherbe verwirklichen? Das wäre doch wie ein Beispiel, wie ein Vorbild, wie eine Art Vorschuss.

Es wäre eine Hoffnung auf Sinn. Auf die ewige Entwicklung von einem Zustand in den anderen.

Die Qualität der KERAMIKS macht es aus, dass sich diese tiefergehende Bedeutungsdimension den Betrachter*innen ganz unverkrampft vermittelt. Petra Weifenbach ist keine Künstlerin, die sich im Sinne eines vermeintlichen Avantgarde-Auftrags einer gesellschaftlichen, politischen, philosophischen oder sonstwie gearteten Revolution verpflichtet fühlt. Der Quell ihrer Phantasie mögen viel mehr ein ungeheures Talent zur Assoziation und eine außerordentliche Empathie sein.

Ausstellung Keramiks Weifenbach KERAMIKS Nr. 442 Weifenbach KERAMIKS Nr. 535 Ausstellung Keramiks Petra Weifenbach

Zugleich schreibt sie sich mit ihrer Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit in die kunsthistorische Gesamterzählung ein und bereichert sie durch einen eigenwilligen Beitrag im Themenkreis der Vanitas. Der Tod, die Vergänglichkeit nicht nur des Lebens, sondern auch der Dinge, ist seit alters her ein höchst wirksames künstlerisches Movens. Die untrennbare Ambivalenz von Eros und Thanatos, die Antizipation des Welkens beim Anblick der voll erblühten Blüte oder des Faulens der reifen Frucht ist spätestens seit dem 17. Jahrhundert ein maßgebliches Bildthema. So finden sich beispielsweise auf holländischen Stillleben dieser Zeit oftmals zerbrochene Gefäße als entsprechende Symbole. Und damit soll sich der Kreis zu den KERAMIKS schließen, denn Petra Weifenbach gibt uns mit ihren Werken die Hoffnung zurück, dass aus dem Überbleibsel eines Zerstörungsaktes eine neue Ganzheit entstehen kann. Alles was es dafür braucht, ist Phantasie. Und ein Lächeln auf den Lippen.

Die Künstlerin

Petra Weifenbach, Jahrgang 1961, hat an der Hochschule der Bildenden Künste in Braunschweig studiert. Anschließend ging sie mit Unterstützung durch ein Stipendium des DAAD für einige Jahre nach Paris, bis sie sich 1993 in Köln niederließ. Seitdem hat sie sich als Größe der rheinischen Kunstszene etabliert, sich in den letzten Jahren aber zunehmend überregional positioniert.

In ihrer Kunst ist Petra Weifenbach weder auf ein Material oder eine Technik noch eine Gattung festgelegt. Ihre scheinbar heterogenen Werkgruppen schließt zusammen, dass es sich in ihnen stets um Fragen der Wahrnehmung und der Vergänglichkeit dreht.

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